»Jahr der Wunder« heißt der neue, gerade auf Deutsch erschienene Roman von Ausnahmeautorin, Buchhändlerin und Pulitzer-Preis-Gewinnerin Louise Erdrich, die 1954 als Tochter einer Ojibwe und eines Deutsch-Amerikaners geboren wurde.
Es ist immer toll, wie verlässlich Erdrich schräge, liebenswerte Charaktere mit Einblicken in das moderne Leben der Native Americans sowie einem erfrischenden, kernigen Sound verbindet. So auch in »Jahr der Wunder«, von Gesine Schröder einmal mehr stilsicher und klangvoll ins Deutsche übertragen.
Zu Beginn kommt Erzählerin Tookie wegen Leichenraub in den Knast, nach ihrer Entlassung arbeitet sie dann in einer Buchhandlung (in die sich Louise Erdrich sogar semi-autobiografisch als Randfigur und Chefin selbst reinschreibt). Fortan geht es um Buchempfehlungen, Familie, Freunde, Traditionen und den Geist einer gestorbenen Kundin, der Tookie heimsucht. Und dann trifft auch noch eine Pandemie die Welt, und die Gewalt gegen People of Color in den USA sorgt für Empörung und Proteste im ganzen Land, scheint einfach alles aus den Fugen geraten zu sein …
Eigentlich sind das mindestens zwei Bücher in einem: Ein typischer neuer Erdrich-Roman über den indigenen Kosmos, den sie seit Jahren mit Geschichten, Charakteren und magischem Realismus zum Leben erweckt. Und das fiktionalisierte Gegenstück zu den beliebten »Buchhändler-Tagebüchern« von Shaun Bythell, inklusive Corona-Memoir.
Und natürlich freut es einen, Autor*innen und Werke als Tookie/Erdrich-Empfehlungen zu lesen, die man selbst feiert und gern weitergibt, allen voran Dennis Lehane, Octavia Butler, Marcie Rendon, James McBride – und den Kurzroman »Train Dreams« von Denis Johnson, eines meiner All-Time-Favorite-Bücher, das ich wirklich wieder öfters empfehlen und verschenken muss, und auch mal wieder lesen, wenn wir schon dabei sind …
Für den Erdrich-Erstkontakt würde ich vermutlich »Ein Lied für die Geister« empfehlen, aber auch »Jahr der Wunder« bezaubert, um nicht zu sagen: begeistert.