Vor rund 25 Jahren hatte ich die erste Frank-Miller-Hochphase meines damals noch jungen Comic-Nerd-Lebens. Ich las mich quer durch Millers Schaffen, »Batman: Die Rückkehr des Dunklen Ritters« und »Batman: Das erste Jahr«, »Sin City«, »Daredevil« und »Elektra«, »Wolverine«, und so weiter. Und ich folgte Mr. Miller, obwohl ich seinen eigenen Samurai-Comic »Ronin« gar nicht so mochte, auch in andere Gefilde der neunten Kunst, zu seinen Favoriten und Einflüssen. So gelangte ich auf Millers Spuren erstmals zum europäischen Klassiker »Corto Maltese« des italienischen Weltenbummlers Hugo Pratt – und zum Samurai-Manga-Meisterwerk »Lone Wolf & Cub« der beiden Japaner Kazuo Koike und Gôseki Kojima. Für die amerikanische Ausgabe dieser Panel-Serie zeichnete Frank Millar sogar die Cover vieler US-Sammelbände der früheren Edition.
Die Serie erschien ursprünglich zwischen 1970 und 1976 und wurde seitdem mehrfach in Film und Fernsehen adaptiert (und sogar in einem Science-Fiction-Comic-Ableger neu interpretiert). Die Abenteuer des umherziehenden Ronins mit Kind faszinierten mich auch sofort, obwohl ich mir mit der typischen Manga-Leserichtung (von rechts nach links, hinten nach vorne) und den mal zarten, mal harten Schwarz-Weiß-Zeichnungen zunächst etwas schwer tat. Zumal über zwei Dutzend Bände für einen Schüler und dann Azubi keine Kleinigkeit waren, was sicherlich zusätzlich abschreckend wirkte.
Ich schaffte beim ersten Anlauf daher nicht alle Bände der alten Panini-Taschenbuch-Ausgabe, gebraucht bei eBay ersteigert. Dafür begeisterte ich mich einige Jahre später sehr für Stan Sakais zwischen US-Comic und Manga stehenden Dauerbrenner »Usagi Yojimbo« (bis heute ein ewiger Lieblingscomic meinerseits), und pflügte wie süchtig durch die riesige Backlist von Sakais Ausnahmeserie, die natürlich massiv von »Lone Wolf & Cub« inspiriert wurde, wie ich seit Langem weiß.
Bei Panini, wo ich als Comic-Redakteur beruflich eigentlich so gut wie nie mit den Manga zu tun habe (der kommende erste »Witcher«-Manga war da kürzlich arbeitstechnisch die Premiere, glaub ich), erscheint seit 2022 nun eine Neuausgabe von »Lone Wolf & Cub«. Die so genannte Master-Edition fasst immer zwei der Taschenbücher zusammen und kommt in riesigen, fetten, massiven Hardcover-Sammelbänden mit Schutzumschlag und Lesebändchen daher. Super schick und macht ewig was her, derweil man am Ende wohl ein Schwerlast-Regal brauchen wird. Das Beste: Ich komme nach fast einem Vierteljahrhundert so noch mal in den Genuss, die Geschichte des Ronin und Auftragkillers Ogami Itto, der mit seinem kleinen Sohn Daigoro im Kinderwagen vor sich durch das feudale Japan zieht, zu goutieren – mit einem ganz anderen Verständnis und Verstand für Comic, Manga, Samurai und das Erzählen von Geschichten. Und selbstverständlich sind mir die mannigfaltigen multimedialen Auswirkungen des Manga-Klassikers heute ebenfalls viel bewusster, die sich über »Usagi« hinaus etwa auf Tarantinos »Kill Bill« oder Favreaus »The Mandalorian« erstrecken.
»Lone Wolf & Cub« ist aber auch schlichtweg großartig. Die von Kazuo Koike verfassten Episoden um die Reisen und Kämpfe von Vater und Sohn, dem einsamen Wolf und dem Welpen, fesseln und faszinieren. Und das Artwork von Gôseki Kojima ist nicht weniger als sensationell. Koike und Kojima vereinen – scheinbar mühelos – historische Stimmung, harsche Lebenstumstände in einer anderen mittelalterlichen Sphäre, wunderbare Landschaften, poetische Momente, fiese Intrigen und explosionsartige, blutige Kämpfe in ihrem Tausende von Seiten umfassenden Comic-Serial. Und manche wortlose Doppelseiten von Kojima rauben mir über 50 Jahre nach ihrer Entstehung noch immer – genauso mühelos – den Atem.
Ich kann Koikes und Kojimas bekanntestes, wichtigstes Werk nur immer wieder empfehlen (nicht bloß Miller-, Kurosawa- oder Sakai-Fans), und ich bin froh, dass es mit der Master Edition diese prächtige Würdigung und Neuausgabe erfährt, nachdem solche Luxusausgaben längst dazugehören. Jeder neue Band der »Lone Wolf & Cub Master Edition« ist ein Highlight in meinem Comic-Nerd-Alltag, auf das ich mich schon Wochen vor Erscheinen freue, und das ich mir dann über Tage hinweg portioniere, um wieder möglichst lange in die Welt von »Lone Wolf & Cub« eintauchen zu können, nur um nach der letzten Seite gleich dem nächsten Hardcover entgegenzufiebern. Wahrscheinlich nervt es einige meiner comic- und kunst-affinen Freund*innen schon, dass sie zu den seltsamsten Uhrzeiten von mir schwärmerische E-Mails mit Fotos von japanischen Landschaften und Samurai-Schwertkämpfen kriegen. Sorry, Leute.
Übrigens hat dieses Manga-Meisterwerk, genauso wie »Usagi Yojimbo«, definitiv einen Effekt darauf, wie ich meine eigenen Fantasy-Geschichten mit den Prinzessinnen schreibe, inszeniere, sehe und bewerte: Die Wanderschaften, der stetige, organische Wechsel von Ruhe und Aufregung, und natürlich die kurzen, heftigen, brutalen Kämpfe mit Schwert und Schwertlanze.
Und da fällt mir ein: Als ich Cross Cult Anfang 2022 zum ersten Mal »Die Prinzessinnen – Fünf gegen die Finsternis« gepitched habe, listete ich unter weiteren Möglichkeiten im Exposé auch eine Manga-Adaption auf. Also, ich würde die zu gern sehen …