Haben Sie etwas herausfinden können, Holmes?

»Sherlock Holmes und die Tigerin von Eschnapur«, Atlantis 2021
In Druck: Die Hardcover zu »Sherlock Holmes und die Tigerin von Eschnapur«

Holmes kehrte erst spät am Abend in die Baker Street zurück, wo ich in den vergangenen Stunden wie die Tigerin von Eschnapur durch den Salon gestrichen war, immer von einer Seite zur anderen.

»Haben Sie etwas herausfinden können, Holmes?«, fragte ich den Detektiv ebenso bang wie hoffnungsvoll. »Wo sind die Exemplare meines neuen Buches abgeblieben? Sie hätten schon längst da und bei den Lesern sein sollen!«

Holmes hängte Zylinder und Mantel auf, nahm in seinem Lieblingssessel Platz und erleichterte mein silbernes Etui um eine Zigarette, die er umständlich anzündete.

Erst nach einem tiefen Zug antwortete er mir endlich.

»Tut mir leid, Watson«, begann mein Mitbewohner und atmete in der Manier eines tanzenden Drachen Rauch aus. »Mein Informant in Moriartys Organisation, den ich nur ohne Sie treffen konnte, wusste leider auch nichts über die Erstauflage Ihres Buches. Es sieht so aus, als habe der Napoleon des Verbrechens nichts mit dem verspäteten Erscheinen oder gar dem Verschwinden Ihres neuen Meisterwerks zu tun, alter Knabe.«

»Aber wo sind die Bücher dann, Holmes?«, sagte ich ungehalten, ließ mich meinem Freund gegenüber aufs Sofa fallen und griff ebenfalls nach dem Zigarettenetui. »Wo sind sie dann?«

»Ich weiß es nicht, Watson«, erwiderte Holmes mürrisch. Er wirkte genauso frustriert wie ich, wenn auch aus anderen Gründen – einen Fall nicht lösen zu können, nagte an Sherlock Holmes in etwa so wie an mir ein Buch, dessen Erscheinen überfällig war. »Wir können vorerst nichts anderes tun als abwarten.«

Da klopfte es an der Tür von 221B. Auf Holmes’ Rufen hin betrat Mrs. Hudson, die gute Seele des Hauses, unsere Junggesellenhöhle, in der Zigarettenrauch und Verdruss unter der Decke des Salons schwebten.

»Ein Telegramm für Sie, Dr. Watson«, erklärte Mrs. Hudson, reichte mir selbiges und überließ uns wieder unserem Elend.

Holmes beugte sich gespannt nach vorn. »Ist es eine Lösegeldforderung?«, fragte er begierig. »Oder hat Lestrade alle Exemplare in einem Keller oder, Gutenberg bewahre, in der Themse gefunden? Oder wurde der Hund der Baskervilles dabei beobachtet, wie er die Bände gefressen hat?«

»Weder noch«, sagte ich, nachdem ich zu Ende gelesen und erst einmal tief durchgeatmet hatte. »Es hat in der Herstellung nur etwas länger gedauert. Die Bücher kommen Ende Juli aus der Druckerei, und spätestens Anfang August sind sie dann bei den Händlern und Lesern.«

»Gut, gut. «Holmes lehnte sich in seinem Sessel zurück, schlug die Beine übereinander und zog an der Zigarette. »Ich muss Ihnen etwas gestehen, Watson.«

»Was denn, Holmes?«, fragte ich mit dem seligen Lächeln des Schriftstellers, dessen nächste Veröffentlichung nun nicht mehr weit war.

»Auf dem Weg hierher habe ich überlegt, Ihnen einfach zu erzählen, dass Moriarty Ihre Bücher stehlen und vernichten ließ«, sagte der Detektiv. »Nur, damit der Spuk ein Ende hat.«

»Holmes!«

»Sie waren in den letzten Tagen nicht Sie selbst, Watson.«

Ich verzog das Gesicht. »Sie wissen doch, wie das ist, wenn man solange an einem Buch gearbeitet hat und die Veröffentlichung kurz bevor steht«, sagte ich verlegen.

Holmes sah mich bedeutungsvoll an. »Das, mein lieber Watson, weiß ich zum Glück nicht …«