The Witcher: Interview mit Andrzej Sapkowski

The Witcher Bd. 1, Panini 2014
The Witcher Bd. 1, Panini 2014

Alle sprechen über Netflix‘ »Witcher«-Serie.

Ich selbst hab noch nicht reingeschaut, weil ich mir noch nicht ganz sicher bin, ob sie es mir wert ist, mein heiliges Kopfkino zu entweihen. Die Bücher, allen voran die beiden anfänglichen Kurzgeschichtensammlungen und der späte Episodenroman, zählen schließlich zu meinen absoluten Faves, wenn es um Schwert-und-Magie-Stoffe geht. Da bin ich picky und ein Purist.

Aber es ist schon wirklich sehr schön, dass ein europäisches Fantasy-Franchise international und multimedial dermaßen für Furore sorgt seit Jahren – und immer noch neue Höhen erreicht.

Als kleines Weihnachtsgeschenk an die letzten treuen Leser dieses auch 2019 wieder oft arg vernachlässigten Blogs hole ich an dieser Stelle nun einfach mal das Interview aus dem Archiv, das ich 2015 mit dem polnischen Autor und Witcher-Erfinder Andrzej Sapkowski führte, und das damals in Ausgabe 60 der »phantastisch!« abgedruckt wurde.

Die Illustration dieses Beitrag ist eines der Cover zu den Comics rund um den Hexer Geralt, die ich als Redakteur für Panini betreut habe.

Hallo Herr Sapkowski. Im Deutschen wurde die Witcher-Buchserie erst im zweiten Anlauf ein Erfolg. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Nun, ich kann mir gut und gerne Hundert Gründe dafür denken: Das Cover war Scheiße, es gab keine Werbung, und so weiter, und so fort. Der wahre Grund ist schmerzhaft, aber wahr: Die Bücher haben sich nicht so gut verkauft, wie Heyne erwartet hatte, und ich vermute, es war sogar viel schlimmer. Kein Wunder, die Leser erwarteten nicht viel von einem Autor aus dem Nirgendwo. Wolfgang Jeschke hat auf einer tschechischen Convention einmal zu mir gesagt, dass polnische Science Fiction für ihn immer Stanislaw Lem sein würde, und polnische Fantasy sei weder für ihn noch für Heyne von Interesse. Seine Meinung änderte sich schnell, als er die Menschenmassen sah, die zu meiner Signierstunde kamen. Aber das war in Tschechien, und Deutschland war offensichtlich nicht Tschechien. Oder Polen. Diese Situation hatte sich verändert nach der herzlichen Aufnahme und den wohlwollenden Kritiken von »Narrenturm« in Deutschland. Ich war kein »Niemand« mehr. Zehn seltsame Jahre waren verstrichen, meine Romane wurden ins Spanische und Französische übersetzt. Fantasy-Fans von überallher – inklusive Polend, Russland und Tschechien – kommunizieren im Internet und erzählen anderen, welche Autoren sie mögen. DTV brauchte keine tschechischen Conventions, um überzeugt zu werden, dass ich es wert war, verlegt zu werden.

Märchen, Mythen und Folklore sind ein wichtiger Teil des Settings der Hexer-Welt. Interessierten Sie diese Dinge schon immer, oder mussten Sie viel recherchieren?

Ganz unbescheiden gesagt, bin ich ein Gelehrter, wenn es um Legenden, Fabeln und Märchen geht. Ich kannte meinen Stoff schon vorher, von daher war es nicht notwendig, eigens für die Geralt-Saga zu recherchieren. Später fand ich es jedoch zweckmäßig, weiterführend zu studieren und zu lernen, etwa von Bruno Bettelheim [Red.: interpretierte die Märchen der Gebrüder Grimm psychoanalytisch], um nur einen Namen zu nennen.

Gerade in den Kurzgeschichten mit Geralt ist die Sicht der Liebe eher pessimistisch. Finden Sie, dass wahre Liebe weh tun muss?

Teufel, nein, ich bin nicht dergestalt pessimistisch, noch sind Pessimismus und Fatalismus meine Existenzphilosophie. Doch während ich mir den Plot ausdachte, stellte ich mir vor, dass die Art von Liebe, die Geralt begegnet und der er gegenübertreten muss, wesentlich interessanter wäre für die Leser, die – selbst in Fantasy-Romanen – ein wenig gelangweilt sein könnten von Happy Ends, Hochzeiten und Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Zumal ich von Anfang an gegen die Idee gewesen bin, dass Frauen in den meisten Fantasy-Romanen der »Preis für den Helden« sind, eine Beute für den Krieger. Tatsächlich sind meine Geschichten das genaue Gegenteil: Geralt ist keine unglückliche, traurige Person. Es ist sein Pech, sich in eine Frau zu verlieben, die sich schlichtweg weigert, ein »Fantasy-Klischee« zu sein. In den Romanen wurde es zwischen Geralt und seiner Liebe dann besser … und wieder schlechter … und dann … na, das soll nicht verraten werden.

War es schwierig, nach so vielen Kurzgeschichten schließlich Romane mit dem Hexer zu schreiben?

Für mich war es eine natürliche Konsequenz, eine Erweiterung. Ab einem bestimmten Punkt fühlte ich mich gebunden, gefesselt und eingeschränkt mit dem Umfang einer Kurzgeschichte oder einer Novelle. Wie Isaac Asimov zu sagen pflegte, eine Kurzgeschichte ist ein Zug, und ein Roman ein Flugzeug. Plötzlich hatte ich das Verlangen, den Zug zu verlassen – und das Flugzeug zu fliegen. Ich betrachtete die ursprüngliche Geralt-Saga, die beiden Kurzgeschichtensammlungen und die fünf Romane, immer als eine geschlossene und vollständige Einheit. Etwas, das praktisch keinen Raum für Sequels oder Fortsetzungen zulässt. Deshalb hatte ich auch niemals Pläne, die Saga von ihrem Ende aus fortzusetzen. Was ich mir immer wieder überlegte und neu überlegte, war das Schreiben von lose verbundenen Geschichten, nach dem Motto »was geschah davor?« oder »was geschah dazwischen?«. Diese Pläne waren lange diesig …

Und dann, nach fast fünfzehn Jahren, kehrten sie doch zum Hexer zurück und schrieben einen fantastischen Episodenroman. War die Zeit einfach reif?

Ich kann Ihnen keine Erklärung geben, die klar genug wäre. Ich hatte viele – eher vage – Pläne und Projekte. »Zeit des Sturms« nahm schneller klare Gestalt an, als andere.

Wie fühlte sich die Rückkehr in die Welt von Geralt, Rittersporn und Co. an? Ihre Figuren, Dialoge und Ihr Sound sind unverändert grandios …

Weshalb sollte meine Prosa auch nicht mehr grandios sein? Schließlich entwickle ich meine Fähigkeiten mit der Zeit weiter und verliere sie nicht. Doch es stimmt schon, als ich mit dem Hexer anfing, war ich knapp Vierzig, und als ich »Zeit des Sturm« begann, war ich über Sechzig. Man könnte sagen, dass man zwischen Vierzig und Sechzig nicht reifer wird und keine Erfahrungen dazu gewinnt – man wird einfach älter. Aber ich bin noch nicht senil – ich entwickle meine Schreibfähigkeiten fortlaufend. Hauptsächlich durch Lesen. Ich lese sehre viel. Ein Buch alle zwei oder drei Wochen.

Hat der Erfolg der Witcher-Videogames Ihre Herangehensweise an das neue Buch beeinflusst? Durch die Games haben Sie inzwischen ja eine andere Zielgruppe …

Ich denke nicht, dass mein Herangehen an die Figuren und den Plot irgendwelche fundamentalen Veränderungen durchlief. Und mit Sicherheit nicht wegen des Videospiels. Und die Leserschaft? Sie verändert sich, okay, doch sie erneuert sich auch selbst. Immer und immer wieder. Wenn ich heutzutage mit Fans zusammenkomme, waren die meisten von ihnen noch nicht geboren, als ich mit dem Schreiben angefangen habe. Sie sind nicht anders – sie sind neu. Sie sind meinem Weg als Autor nicht gefolgt, sie bekamen den Hexer als Paket. Natürlich sind die Fans heute fordernder. Besonders in Polen, wo Fantasy in den Achtzigern rar war und wo die Regale in den Buchläden heute voll davon sind. Die Leser haben die volle Auswahl und können entscheiden, was gut ist und was nicht.

Hat sich besonders das Fantasy-Genre gewandelt, seit Sie die ersten Hexer-Episoden geschrieben haben?

Fantasy verändert sich die ganze Zeit. Jedes Jahr – wenn nicht sogar jeden Monat – sehen wir einige neue interessante Bücher, sehen wir jemanden mit einem völlig neuen und innovativen Ansatz für das Genre, sehen wir eine neue fesselnde Geschichte oder einen neuen Helden, den wir sofort lieben. Dennoch bleibt die »Hall of Fame« der Helden natürlich stets dieselbe, selbst wenn manche Helden mit Staub bedeckt, aus der Mode gekommen und obsolet scheinen. Nach wie vor haben wir die Sockel, und auf ihnen stehen Conan, Kane, Jirel die Amazone, Elric von Melniboné, Fafhrd und der Graue Mausling, Druss und andere. Und ohne falsche Bescheidenheit denke ich, dass auch auf Geralt von Riva ein Sockel wartet.

Die unvermeidliche Frage zum Schluss: Wird es ein weiteres Buch mit dem Hexer geben?

Vielleicht. Wer kann das schon sagen? Alles hängt von der Muse ab. Und ihren Launen. Musen sind schließlich launenhafte Wesen.

Dann hoffen wir auf die Muse. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Sapkowski.