An Heiligabend ist der Engländer Richard Adams, Autor von »Watership Down«, »Die Hunde des schwarzen Todes«, »Shardik«, »Traveller« und anderen großen Werken der Tierfantasy, im Alter von 96 Jahren verstorben.
Vor allem seine beiden Kaninchen-Bücher – den weltberühmten Roman und das weniger bekannte, jedoch ebenfalls sehr charmante Kurzgeschichtensammlungs-Sequel – habe ich früher unglaublich gerne gelesen. Eine Zeitlang habe ich Adams‘ Bücher sogar regelrecht antiquarisch gejagt und u. a. schöne Ausgaben seines Kinderbuches »Die Reise der beiden Tiger« und der illustrierten Märchensammlung »Der eiserne Wolf und andere Geschichten« zusammengetragen.
Darüber hinaus habe ich Mr. Adams vor mehr als zehn Jahren für das Magazin »Phase X« interviewt. War eine witzige Geschichte: Kurz vor Redaktionsschluss und Druck, als das Interview eigentlich schon als gescheitert abgehakt war, meldete sich mit einiger Verspätung dann doch noch die deutsche Agentur, übermittelte die Fragen auf dem klassischem Postweg, und die Antworten kamen dann hier bei mir an.
Nachdem ich eben umsonst ein paar Archiv-Kisten durchwühlte, kam mir in den Sinn, mal in die Adams-Bücher im Regal zu schauen, und tatsächlich, im Schutzumschlag von »Shardik« steckten die kopierten Seiten:
Auf einer alten Back-up-Platte habe ich außerdem die Druck-PDFs des Interviews aus »Phase X #2« aufgestöbert und in ein Word-Dokument transferiert – ich glaube, ich habe die Übersetzung damals direkt in InDesign ins Layout getippt, um das ich mich die ersten Ausgaben noch selbst kümmerte.
Nachfolgend die leicht gekürzte Textversion des Interviews aus dem Sommer 2006, dessen Übersetzung nicht perfekt war, aber keine allzu großen körperlichen Schmerzen verursachen sollte:
Hallo Herr Adams. Bevor wir über Ihre Bücher sprechen, würde ich Sie bitten, uns zu erzählen, wie Sie überhaupt zum Schreiben gekommen sind. Gab es für Sie ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu motivierte, sich Geschichten auszudenken und niederzuschreiben?
Richard Adams: Bis 1972 habe ich nichts für eine Veröffentlichung geschrieben. »Watership Down« begann als mündliche Erzählung für meine beiden kleinen Töchter, als ich sie im Auto umhergefahren habe. Sie waren es, die nach Abschluss der Geschichte darauf beharrten und mich dazu drängten, sie drucken zu lassen. Vier Verlage und drei Literaturagenten lehnten die Story allerdings ab. Letztlich wurde die Geschichte von einem ganz kleinen Verlag angenommen – wirklich, einer echten Ein-Mann-Band. Er hatte nicht viel Geld, doch gab es dennoch etwas, das er tun konnte und auch tat: Er brachte ein Exemplar des Buches auf den Schreibtisch von so gut wie jedem Redakteur in London und Umgebung. Ich war erstaunt, die ganzen schwärmerischen Besprechungen zu lesen, die bald folgten. Ich hatte nicht viel Ärger mit dem Buch: Ich schrieb es schnell, einfach und in Einklang mit den Rückmeldungen und dem Druck von Juliet und Rosamond. Ich vermute, dass Sie so etwas als »Schlüsselerlebnis« bezeichnen würden, denn nach den wunderbaren Besprechungen zu »Watership Down« war ich motiviert, mehr Bücher zu schreiben, besonders »Shardik«, »Das Mädchen auf der Schaukel« und »Traveller«.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet Kaninchen zu den Helden von »Watership Down« zu machen?
Richard Adams: Zu ihnen kam ich, als wir uns für die längere Autofahrt fertig machten und meine Mädchen zu mir sagten: »Jetzt, Papa, musst Du uns eine gute, lange Geschichte erzählen, damit die Fahrt nicht so lange dauert. Es muss eine Geschichte sein, die wir nie zuvor gehört haben, und bitte, fang sofort an!« Dadurch, dass ich spontan mit einer Geschichte anfangen sollte, begann ich also frei Schnauz: »Es waren einmal zwei Kaninchen namens Hazel und Fiver –« Egal wo ich hingehe, Journalisten fragen mich immer: »Wieso hast Du Kaninchen für Deine Geschichte ausgesucht?« Die schlichte Wahrheit ist, dass ich niemals wirklich darüber nachgedacht habe – die Kaninchen waren ein spontaner Einfall.
Wie wichtig waren George Orwell und sein Buch »Farm der Tiere« für Ihr »Watership Down«?
Richard Adams: George Orwell/Eric Blair war immer ein Autor, den ich unglaublich geschätzt habe – zu der Zeit, da ich »Watership Down« schrieb, hatte ich alles gelesen, was George Orwell veröffentlicht hat. Ich kann mich allerdings nicht an einen speziellen Einfluss von »Farm der Tiere« erinnern … Doch selbst ohne ein Werk von ihm besonders hervorzuheben, ist es durchaus richtig zu sagen, dass George Orwells Bücher einen generellen Effekt auf meine Arbeit hatten. Ich fand es immer sehr schade, dass ich ihn nie persönlich getroffen habe.
In Ihrem Roman kann der Leser völlig in die Landschaft des Watership Downs eintauchen – und all das durch die Nasen, Augen und Ohren der Kaninchen. Wie schwierig war es für Sie, Ihre Gedanken auf ein Kaninchen zu übertragen und das Buch komplett aus Sicht der Langohren zu schreiben? Haben Sie die Tiere zuvor in Büchern studiert, oder haben Sie sie vielleicht sogar in freier Wildbahn oder als Haustiere bei Ihnen zu Hause beobachtet?
Richard Adams: Von Kindesbeinen an hat es mir immer gefallen und mich interessiert, Kaninchen zu beobachten – die einzigen wilden Herdentiere, die in diesem Land übrig geblieben sind, ausgenommen vielleicht drei oder vier Arten Rotwild. Eben habe ich ausgeführt, wie ich zu den Kaninchen gekommen bin. Als ich dann aber begann, »Watership Down« niederzuschreiben, dachte ich mir, dass es gut wäre, auch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ein bisschen mehr über Kaninchen zu wissen. Also ging ich zum nächstgelegenen Buchladen und nahm das erste Buch über Kaninchen aus dem Regal für Naturwissenschaften. Das war »The private of The Rabbit« von Ronald Lockley. Nachdem »Watership Down« veröffentlicht wurde, habe ich Ronald Lockley ein Exemplar geschickt (obwohl ich ihn nie zuvor kennengelernt habe) und um seine Meinung gebeten. Er antwortete warmherzig und freundlich, und wir wurden gute Freunde und pflegten bald schon für lange Spaziergänge durch die Landschaft zu streifen. Er sagte einmal: »Du machst die Pflanzen, Richard, und ich die Vögel.« Er war ein wunderbarer Ornithologe, und ich habe viel von ihm gelernt. Er starb in Neuseeland (dorthin war er ausgewandert). Ein Großteil meines Wissens über Kaninchen habe ich also von Ronald Lockley, doch haben mich auch noch andere Texte beeinflusst. Das Kaninchen war immer beliebt bei der Bevölkerung Englands und hat so oder so eine beachtliche Lobby. Um nur ein Beispiel zu nennen: Schauen Sie sich »Die Geschichte von Peter Hase« von Beatrix Potter an, die bereits um das Jahr 1905 veröffentlicht worden ist …
Haben Sie die Absagen der Verlage, die »Watership Down« am Anfang erhielt, zwischendurch entmutigt?
Richard Adams: Nein, da es auch nie einen oder gar den bestimmten Zeitpunkt gegeben hat, an dem ich mich dazu entschied, Schriftsteller zu werden. Nach dem Krieg trat ich den Beamtendienst in Whitehall an. »Watership Down« wurde veröffentlicht, als ich noch dort tätig war, und ich verließ den Dienst 1974 dann auch nur, weil ich mit 54 Jahren schließlich doch ein Vollzeit-Autor werden wollte. All meine späteren Bücher wurden erst nach diesem Zeitpunkt geschrieben.
Wie sah das Schreiben nach dem großen Erfolg von »Watership Down« für Sie aus? Spürten Sie einen besonderen Druck in den Erwartungen Ihrer Leser?
Richard Adams: Nein, ich habe es nie so empfunden, als ob irgendeine Art von Druck seitens der Öffentlichkeit auf mir lasten würde. Ich wollte einfach nur weiter schreiben. Allerdings gebe ich zu, dass ich bei »Shardik« immer sehr lange, ja bis tief in die Nacht arbeiten musste. Ich persönlich halte es aber auch für mein bestes Buch.
Wenn Sie so zurückdenken: Welches Buch hat Ihnen zu schreiben den meisten Spaß gemacht? Oder, um die Sache anders anzugehen – welches war das schwierigste zu schreiben?
Richard Adams: Schreiben ist nie Spaß. Jeder andere Autor wird Ihnen das bestätigen. Schreiben ist harte Arbeit.
1996 kehrten Sie zur Belegschaft vom Watership Down zurück – insbesondere auch zur Mythologie der Kaninchen. Wie waren Ihre Gefühle bei dieser Rückkehr zu Ihren literarischen Helden, die Sie einst berühmt gemacht haben? Und wie war es, wieder mit ihnen zu arbeiten?
Richard Adams: Ich schrieb »Neues vom Watership Down«, weil mich so viele Menschen darum gebeten und danach gefragt haben. Ich hatte das Gefühl, dass die Kaninchen in ihrer Vorstellung ein eigenes Stück und eine eigene Auffassung der Welt haben sollten. El-ahrairah – der Prinz mit den Tausend Feinden – dachte ich mir aus, weil ich außerdem der Meinung war, dass Kaninchen einen Volkshelden haben sollten – am besten in eben solchen Bahnen, wie die Engländer mit Robin Hood einen haben.
Ein Grund für Fiver, Hazel und die anderen, ihr Gehege zu verlassen, ist das Regime in ihrer Heimat. Wenn Sie nun auf die weltpolitischen Bewegungen und Ereignisse der letzten 20 Jahre blicken – waren Sie genauso prophetisch veranlagt als Fiver?
Richard Adams: Ich habe immer darauf bestanden, dass »Watership Down« keine politische Satire ist, keine politische Anwendbarkeit hat oder dergleichen. Es ist einfach nur eine Geschichte über Kaninchen, die ich mir für meine beiden kleinen Mädchen ausgedacht habe, während wir mit dem Auto unterwegs waren.
Ich kann mir vorstellen, dass Geschichten, die Tiere als Helden haben, eine besonders umfangreiche Recherche benötigen. Mit »Traveller« kamen dann auch noch historische Quellen und Recherchen hinzu – eine große Herausforderung für einen Autor?
Richard Adams: Die Idee für »Traveller« kam mir, während ich über General Robert E. Lee und den amerikanischen Bürgerkrieg gelesen habe. »Traveller« enthält einen tollen Abschluss seines Lebens: Zum Ende des Bürgerkriegs nimmt Robert E. Lee Traveller mit in seine Heimat Virginia. Robert E. Lee pflegte immer zu sagen, dass er oftmals dachte, Traveller (den er während des gesamten Bürgerkriegs ritt) habe sein ganz eigenes, rudimentäres Wissen und Verständnis militärischer Taktiken gehabt und dieses immer genutzt, um im Einklang mit seinem Herrn genau dorthin zu gelangen, wo dieser sowieso hin wollte.
Einige Ihrer Werke wurden als Trickfilm adaptiert. Wie zufrieden Sind sie mit diesen Adaptionen?
Richard Adams: Völlig zufrieden.
Was bedeutet es Ihnen, hie und da als der Vater moderner Tierfantasy bezeichnet zu werden und Pionierarbeit für z. B. Autoren wie Gary Kilworth und andere populäre Autoren der Tierfantasy geleistet haben?
Richard Adams: Ich habe nie von Gary Kilworth gehört, und auch dass ich der Vater der Tierfantasy bin, schien mir immer eine Erfindung der Journalisten gewesen zu sein.
Herr Adams, vielen Dank für das Interview.