Am vergangenen Montag als Comic-Heldin der Woche im gedruckten Tagesspiegel, seit ein paar Tagen auch online: Mein Text zu Velvet, Ed Brubakers fantastischer Liebeserklärung an die Welt von James Bond, die neben Greg Ruckas Lazarus zu den stärksten neuen Comic-Serien der letzten zweieinhalb Jahre gehört.
Und hier, sozusagen blog-exclusive, meine nicht redigierte Langfassung des Artikels:
Schöne Spionin
London, 1973. Velvet Templeton ist jenseits der Vierzig und arbeitet als Sekretärin des ARC-7, dem fähigsten Geheimdienst der Welt, der selbst in diesen Kreisen bloß eine Legende ist. Als X-14, der Top-Agent von ARC-7, in Paris ermordet wird, trauern nicht nur alle Schreibdamen im Londoner Hauptquartier. Velvet stellt überdies auf eigene Faust ein paar Ermittlungen zum Tod ihres abservierten Ex-Lovers mit der Lizenz zum Töten an. Ehe sie richtig weiß, wie ihr geschieht, flüchtet sie auf einmal vor den eigenen Kollegen, da sie plötzlich als Tatverdächtige Nummer Eins gilt. Sie schafft es außer Landes und forscht in Wien, Belgrad und Monaco weiter. Fortan muss sie zeigen, wieso sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die erste weibliche Rekrutin von ARC-7 war und vor fünfzehn Jahren selbst als beste Agentin im Außendienst galt – und dass sie noch genauso smart wie sexy ist. Außerdem findet sie heraus, dass der Tod von X-14 mit einem Geheimnis in ihrer eigenen Akte zusammenhängt …
Der amerikanische Autor Ed Brubaker ist ein Spezialist für Comic-Krimis. Das bewies er u. a. an Serien wie Sleeper und Criminal. Mit Velvet-Zeichner Steve Epting arbeitete er darüber hinaus bereits an der preisgekrönten Saga um Captain America und den Winter Soldier zusammen, die den zweiten Cap-Film maßgeblich speiste. Auch in dieser Superhelden-Story baute der 1966 geborene Brubaker zahlreiche typische Elemente des Spionage-Thrillers ein. Velvet, das beim Kleinverlag dani books als Paperback und als limitiertes Hardcover auf Deutsch erschienen ist, stellt nun Brubakers ultimative Liebeserklärung an die Welt von James Bond dar. Gleichzeitig stellt er das Konzept von Miss Moneypenny als hauptsächliche Flirt-Möglichkeit komplett auf den Kopf, und mit Velvets Alter antwortet er direkt auf den multimedialen Trend zum Dauer-Einsatz jüngerer Frauenfiguren. Zudem führt Brubaker den Gedanken zu Ende, was mit Spionen passiert, die zwischen Lügen und Doppelagenten lange genug überleben. Heraus kam ein großartiger Comic, der die Geheimagenten-Klischees als starke Archetypen nutzt.
Velvet glänzt als weiteres Beispiel für all die fantastischen eigenständigen Comics, die derzeit in den USA erscheinen und über die Autoren und Zeichner die volle kreative Kontrolle haben. Der superb geschriebene, gezeichnete und kolorierte Auftaktband von Velvet sollte daher keine geschwärzte Stelle in der Leseliste bleiben, insofern auch nur ein geringfügiges Interesse an Krimis und Comics besteht.
Wer sich jetzt schon auf den neuen Film mit Mr. Bond freut, kommt an Ms. Templeton nicht vorbei.